Dienstag, 13. August 2019

Ein kleiner technischer Schritt mit großer Wirkung für die Telemedizin

Die Digitalisierung hat längst die Medizin und die Gesundheitsversorgung erreicht.
Ein vergleichsweise neues Tätigkeitsfeld  in der digitalisierten Gesundheitsversorgung stellt die Online-Betreuung von Patienten dar.

Abgesehen von Ländern wie Canada, Skandinavien, Australien in denen ausschließliche Ferndiagnose und Fernbehandlung legal sind, gibt es auch deutschsprachige Online-Angebote, deren Betreiber aber von Ausland aus agieren oder deutsche Unternehmen mit Sitz in Deutschland sind, aber Dienstleistungen ausländischer Ärzte in Anspruch nehmen. Auf diese Weise entziehen sich diese Anbieter der deutschen rechtsverbindlichen Berufsordnungen, die bis vor kurzem ein Verbot für ausschließliche Fernbehandlung vorsahen. 
DrEd ist ein derartiges Internetportal mit Sitz in London. Nach eigenen Angaben habe DrEd seit dem Start seines deutschen Internetportals im Jahr 2011 bis Ende 2017 insgesamt 400.000 deutsche Patienten fern betreut, davon die Hälfte im letzten Jahr.
Oder das telemedizinische Zentrum Medgate mit Sitz in Basel, das inzwischen mehr als 12 Millionen Anrufe jährlich haben soll. Dieses Unternehmen bietet auch ärztliche Betreuung per Chat und Video an.
Der deutschen privaten Krankenversicherung Ottonova liegt ein ähnliches Geschäftsmodell zugrunde. Seit Oktober 2017  bietet sie Patienten, die bei ihr versichert sind, mittels Apps Ferndiagnosen, Therapieempfehlungen und sogar Krankschreibungen an. Dabei werden Ärzte aus der Schweiz eingebunden.

Die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs hat gegen die Krankenversicherung Ottonova Klage eingereicht, um klären zu lassen, ob Werbung für die Fernbehandlung zulässig ist. Begründung: Verstoß gegen Paragraf 9 des Heilmittelwerbegesetzes, der die Werbung für die Fernbehandlung untersagt.


Nun vor dem Urteil des LG München in der Sache Ottonova wurde bei dem Ärztetag von
08.- 11.05.2018  in Erfurt das Verbot der ausschließlichen Fernbehandlung gelockert.
Demzufolge sollen  künftig eine Beratung und Behandlung über Kommunikationsmedien auch ohne persönlichen Erstkontakt im Einzelfall erlaubt sein, wenn (u.a.)  dies vertretbar ist, die ärztliche Sorgfaltspflicht gewahrt und der Patient / die Patientin auch über die Besonderheiten der ausschließlichen Beratung über Kommunikationsmedien aufgeklärt wird. Dabei sei wichtig, dass die Fernbehandlung in die bestehende Versorgungsstrukturen eingebunden wird.

Trotz Lockerung des Fernbehandlungsverbots stellte sich dann heraus, dass das LG München mit Urteil vom 16.07.2019 (AZ.: 33 O  4026/18) das Werbeverbot für Fernbehandlungen beibehalten hat. Das Gericht hat entschieden: die Beklagte habe es zu unterlassen, für ärztliche Fernbehandlungen in Form eines digitalen Arztbesuchs zu werben.

Die Reaktion der Wettbewerbszentrale auf das Urteil des LG München ist allerdings zwiespältig: einerseits, begrüßt sie das Urteil, wonach trotz Lockerung des Fernbehandlungsverbots der Gesetzgeber das Werbeverbot für Fernbehandlungen beibehalten hat;
andererseits, „hoffe“ sie, dass die Beklagte in die Berufung geht. Denn nur ein höchstrichterliches Urteil könne grundsätzlich klären, ob Geschäftsmodelle, die (im Zeitalter der Digitalisierung!!) eine Fernbehandlung oder eine Krankschreibung durch ausschließliche Ferndiagnose vorsehen, legal sind.

Diese Situation erinnert, an den Fall einer Ärztin, die 2017 vom Amtsgericht Gießen zu einer Geldstrafe verurteilt wurde, weil sie auf ihrer Website für Schwangerschaftsabbrüche werbe, was gegen die (veralteten) Bestimmungen des Paragrafen 219a im Strafgesetzbuch verstoße. Denn nach Paragraf 219a des StGB ist das  öffentliche Anbieten, Ankündigen oder Anpreisen von Schwangerschaftsabbrüchen untersagt.
Ihre Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil wurde vom LG Gießen  im Oktober 2018 abgewiesen.
Schließlich wurde Ende März dieses Jahres der umstrittene Paragraf um einen Absatz ergänzt. Der Bundesrat billigte eine Reform des Paragrafen 219a. Demnach dürfen Ärzte öffentlich angeben, dass sie Abbrüche vornehmen. Begründung: Schwangere sollen künftig einfacher als bisher Ärzte für eine Abtreibung finden.
Vor dem Hintergrund der geänderten  Rechtslage hat dann das OLG Frankfurt das Urteil wegen Werbung für Schwangerschaftsabbruch gegen die Ärztin aufgehoben und den Fall an das LG zur Neuverhandlung zurückverwiesen.

Die Krankenversicherung Ottonova hat, wie die Ärztin, auf ihrer Website öffentliche Angaben gemacht, mit denen gezielt eine bestimmte Zielgruppe über ihre Dienstleistungen informiert werden sollen: die Ärztin, ihre Patientinnen über die Möglichkeit der Vornahme einer Abtreibung in der Praxis,  die Versicherung, ihre Versicherungsnehmer über die Möglichkeit  digitale Gesundheitsleistungen wie Fernbehandlung und Fernkrankschreibung in Anspruch zu nehmen.
Die Versicherung  habe die Versicherungsnehmer auch darüber informiert, dass  die Ferndienstleistungen vor allem am Wochenende, im Urlaub und bei Erkältungen und ähnliche Erkrankungen vorgenommen werden und zwar durch E-Doctors.
Diese Vorgehensweise entspricht im Grunde den Voraussetzungen, die für eine ausschließliche Fernbehandlung über Kommunikationsmedien und im Einzelfall erlaubt sein sollen und denen der Ärztetag zur Lockerung des Fernbehandlungsverbots zugestimmt hat.

Die Landesärztekammern müssen allerdings die neuen Regelungen  zur Lockerung des Fernbehandlungsverbots in ihre rechtsverbindlichen Berufsordnungen übernehmen.
Der Umsetzungsprozess könnte  zusammen mit der Genehmigung durch die Aufsichtsbehörde, noch einmal 1 bis 2 Jahre dauern.
Wird dann eine Änderung des (veralteten) Paragrafen 9 des Heilmittelwerbegesetzes zustande kommen, der dann  „im Einzelfall“  (im digitalen Zeitalter) über Kommunikationsmedien öffentliche Angaben zur Fernbehandlung erlaubt? … wie im ähnlichen Fall der Ärztin, die jetzt durch Änderungen des Paragrafen 219a des Strafgesetzbuchs auf Freispruch hoffen kann.

Was sind schon 1 bis 2 Jahre bis zu mögliche Rechtverbindlichkeit  der neuen Regelungen zur ausschließlichen Fernbehandlung?!

Auch damit Ärzte Medikamente elektronisch verordnen können, müssen nicht nur einige technische Probleme gelöst, sondern auch Gesetze umgeschrieben werden.
Das Digitalgesetz, das mit dem App auf Rezept (E-Rezept) kommen soll, wurde erst von dem jetzigen  Bundesgesundheitsminister, Jens Spahn, durch das Kabinett gebracht -  Juli2019.
Das sind 3 Jahre nach i. Kr. treten des  „E-Health-Gesetzes“ / des
Gesetzes für sichere digitale Kommunikation und Anwendungen im Gesundheitswesen (01.01.2016). Die regulatorischen Voraussetzungen für das E-Rezept müssen bis zum Frühjahr 2020 stehen. Das bedeutet: das E-Rezept kommt 4 Jahre nach i. Kr. treten des  „E-Health-Gesetzes“, (und 15 Jahre nach i. Kr. treten  des Gesundheitsmodernisierungsgesetzes (2004), das die Grundlagen für die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte (eGK) und der Telematikinfrastruktur gelegt hat).



So ist der Zeitraum von 1 - 3 Jahren bis zu einer möglichen Lockerung des Fernbehandlungsverbots vergleichsweise eine zeitlich vernachlässigbare Größe.
Diese gesetzlichen Initiativen stellen aber zugleich einen wichtigen innovativen Schritt zum Ausbau der Telemedizin dar.
Sie sorgen dafür, dass Deutschland im internationalen Wettbewerb um  innovative Gesundheitsdienstleistungen gegenüber anderen Anbietern konkurrenzfähig bleibt.
Denn auch in Ermangelung einer klaren Rechtsgrundlage hinsichtlich der möglichen telemedizinischen Betreuung von Patienten und Patientinnen würde Deutschland nicht von derartigen fernmedizinischen Dienstleistungen verschont bleiben. Entsprechende Angebote zur Fernbehandlung werden nach wie vor aus dem Ausland kommen.


„Wenn nicht wir diese Behandlungsform gestalten, wird sie wohl dennoch zu uns kommen“

-  sagte der Präsident der Bundesärztekammer, Prof. Montgomery, bei der Eröffnung des Ärztetages in Erfurt.