Dienstag, 10. Mai 2016

Süßstoff: 960, der Süßstoff aus dem Steviakraut - Täuschung oder Haarspalterei?

Mit der am 13.12.2014 i.Kr. getretenen EU-Lebensmittel-Informationsverordnung, (LMIV), wurden europaweit geltende Kennzeichnungsvorschriften  betreffend (u.a.) die Pflichtangaben wie Bezeichnung und die Nährwertkennzeichnung des Lebensmittels,  die Zutaten einschließlich der 14 wichtigsten Stoffe oder Erzeugnisse, die Allergien oder Unverträglichkeiten auslösen können, wie auch das Mindesthaltbarkeitsdatum oder Verbrauchsdatum,  die Nettofüllmenge, der Firmenname geregelt.
Die Verordnung  sorgt auch für eine klare Kennzeichnung von Lebensmittelimitaten, eine verbesserte Allergenkennzeichnung vorverpackter Lebensmittel und die obligatorische Allergeninformation bei loser Ware.
Alle diese Angaben sind bereits verpflichtend, mit Ausnahme der Nährwertkennzeichnung, die zwar verwendet, jedoch erst ab Dezember 2016 obligatorisch sein wird.

Sind die Süßstoffe überhaupt in der langen Liste der kennzeichnungspflichtigen Angaben vorgesehen? Ja,  Süßstoffe sind vorgesehen, und zwar in der Zutatenliste, wo sie allerdings einen besonderen Status einnehmen: im Gegensatz zu den übrigen Zutaten müssen die ZUSATZSTOFFE AUSDRÜCKLICH ZUGELASSEN SEIN.
Und nach EU-Recht  kann ein Lebensmittelzusatzstoff nur zugelassen werden, wenn er in den vorgeschlagenen Gebrauchsmengen nach verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnissen kein Gesundheitsrisiko für den Verbraucher darstellt. In vielen Fällen gilt die Zulassung nur für bestimmte Lebensmittel.
Nach Prüfung und Zulassung erhalten die Stoffe  eine europaweit einheitliche E-Nummer.
Derzeit sind etwa 330 Zusatzstoffe erlaubt.
•    Farbstoffe: E 100-180
•    Konservierungsstoffe: E 200-297
•    Antioxidations- und Säuerungsmittel: E 300-385
•    Verdickungs- und Feuchthaltemittel: E 400-495
•    Säuerungsmittel u. a.: E 500-586
•    Geschmacksverstärker: E 620-650
•    Süßstoffe u. a.: E 950-1521
Eine E-Nummer stellt daher auch immer eine Garantie dar, dass der Zusatzstoff eine eingehende Untersuchung durch die EFSA (European Food Safety Authority / Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit) und europäischen Regulierungsapparate erfolgreich durchlaufen hat.
Für ihre Kennzeichnung wird der Klassenname vorangestellt gefolgt  entweder von der Substanzbezeichnung oder der E-Nummer.
So sieht  eine korrekte Angabe für den Süßstoff ASPARTAM aus:
„Süßstoff: E951“ oder „Süßstoff: Aspartam“.

Da wir endlich bei den Süßstoffen gelangt sind, hier die Liste der bereits
zugelassenen Süßstoffe, Stand Januar 2015 /Auszug  aus der Liste der Zusatzstoffe, die derzeit EU-weit verwendet werden dürfen.


E-Nummer
Verkehrsbezeichnung
Erläuterungen
E 950
Acesulfam-K
synthetischer Süßstoff, Ausgangsstoff: 4-Chlorophenol
E 951
Aspartam
synthetischer Süßstoff, bestehend aus Aminosäuren Asparaginsäure und Phenylalanin
E 952
Cyclamat
synthetischer Süßstoff, hergestellt aus Chlorsulfonierung von Cyclohexylamin
E 954
Saccharin
synthetischer Süßstoff aus Toluol hergestellt (das u.a. auch im Benzin enthalten ist)
E 955
Sucralose
synthetischer Süßstoff, entstanden durch Chlorierung von Saccharose
E 957
Thaumatin
natürlicher Süßstoff, ein Stoffgemisch aus 6 Proteinen in den Beeren einer westafrikanischen Pflanze
E 959
Neohesperidin DC
natürlicher Süßstoff, gewonnen aus den Flavonoiden der Zitrusfrüchte
E 960
Steviolglycosid
Extrakt aus dem Stevia-Kraut
E 961
Neotam
synthetischer Süßstoff, Verbindung von Aspartam und Dimethylbutyraldehyd
E 962
Aspartam-Acesulfamsalz
Verbindung E 950 mit E 951
E 965
Maltit
Maltitsirup

Zuckeraustauschstoff, ähnlicher Energiegehalt wie Haushaltszucker, braucht aber kein Insulin, um verwertet zu werden, daher geeignet für Diabetiker
E 966
Ladit
Zuckeraustauschstoff, aus Milchzucker hergestellt
E 967
Xyllit
Zuckeraustauschstoff, Süßkraft nur wenig geringer als die von Haushaltszucker
E 968
Erythrit
Zuckeralkohol, Zuckeraustauschstof
E 969
Advantam
Synthetisches Süßungsmittel mit sehr hoher Süßkraft






















„Süßstoff:  Steviolglycosid“  oder „Süßstoff: E 960“ !
Man kann diesen Süßstoff  auf diese Weise kennzeichnen, da Steviolglycoside seit dem 2. Dezember 2011 in der EU zur Verwendung als Zusatzstoff für bestimmte Lebensmittel (z. B. alkoholfreie Erfrischungsgetränke, Speiseeis, Milchprodukte, Konfitüren, Desserts, Tafelsüßen) zugelassen sind.

Die zum „Süßstoff: E 960“ gewordenen  Steviolglycoside werden aus den Blättern der „Stevia rebaudiana“
Wikipedia
(Süßkraut oder Honigkraut) gewonnen, eine Staudenpflanze aus Südamerika, die wild in Paraguay und Brasilien wächst und dort von der Bevölkerung zur Zubereitung von Speisen und Getränken genutzt wird. In der Steviapflanze sind mehr als 30 verschiedene Steviolglycoside enthalten. Die Anteile der enthaltenen Steviolglycoside unterscheiden sich nach Anbaugebiet und Pflanzensorte. In den Blättern sind mit dem größten Anteil  STEVIOSID und REBAUDIOSID  A vorhanden.
Um den „Süßstoff: E 960“ herzustellen, werden die getrockneten und zerkleinerten Stevia-Blätter mit Wasser oder Alkohol versetzt. So werden  die Steviolglycoside freigesetzt. Anschließend werden die gelösten Stoffe mit Salzen ausgefällt (von der Flüssigkeit abgetrennt) und mit speziellen Harzen entfärbt. Dieser Extrakt wird anschließend gereinigt und mit Alkoholen wieder kristallisiert. Die Schritte müssen teilweise mehrmals wiederholt werden, bis das Endprodukt den Reinheitsanforderungen entspricht.

Steviosid,/Wikipedia
Der nun zugelassene Süßstoff  Steviolglycosid  muss den Anforderungen entsprechender EU- Verordnung genügen.
Demzufolge hat der Süßstoff laut EU-Reinheitsaufforderungen einen Gehalt von  ≥ 95% an Steviolglycosiden aufzuweisen, davon mindestens 75% Steviosid und /oder Rebaudiosid A. Für die einzelnen Lebensmittelkategorien sind jeweils unterschiedliche Verwendungshöchstmengen festgelegt. Bei Herstellung von Tafelsüße beispielsweise wird die Erreichung eines Extras mit möglichst hohem Gehalt an Rebaudiosid A angestrebt. Der Grund: Rebaudiosid A kommt von allen Stevia-Inhaltsstoffen  am nahestehen  der „Zuckersüße“, da sie keinen stark ausgeprägten Eigengeschmack hat.

Für Zusatzstoffe wird in der Regel durch  umfangreiche  Untersuchungen (verschiedene toxikologische Studien, die Laborversuche und Tierversuche einschließen) ein sogenannter ADI-Wert (acceptable daily intake / akzeptable tägliche Aufnahme).festgelegt. Er gibt die Menge eines Stoffes an, die über die gesamte Lebenszeit täglich verzehrt werden kann, ohne dadurch gesundheitliche Gefahren zu erwarten.
Die Höchstmenge für Lebensmittel in der EU-Lebensmittelzusatzverordnung soll sickerstellen, dass nur Konzentrationen eingesetzt werden, die technologische erforderlich sind und keine Gefahr für die Gesundheit darstellen.
Für Steviolglycoside wurde von  EFSA der ADI-Wert  von 4 Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht und Tag festgelegt.
Steviaextrakt, 123rf
Steviatablettem, Wikipedia
Steviapulver, 123rf
Stevia-Süßstoffe werden als Pulver, Tabletten und in flüssiger Form angeboten. Getrocknete Stevia-Blätter sind zwar im Handel erhältlich (z. B. Badezusatz), jedoch nicht als LebensmitttelZUSATZ. Hintergrund: die Blätter sind je nach Herkunft unterschiedlichster Zusammensetzung, die noch nicht genau bekannt ist.  Konsequenz: eine Sicherheitsbewertung kann derzeit noch nicht erfolgen.

Der Süßstoff  Steviolglycosid  (also der Extrakt aus dem Stevia-Kraut, kann man nicht oft genug sagen) ist 200-400mal süßer als Haushaltszucker. Ein Stevia-Produkt als reines  Rebaudiosid A  kann eine bis 450-fache Süßkraft von Zucker haben.
Steviolglycoside sind praktisch ohne Kalorien und nicht schädlich für die Zähne.  Zudem sind sie für Diabetiker geeignet, da sie den Blutzuckerspiegel nicht beeinflussen.
Da Steviolglycoside ausreichend temperaturstabil sind, haben sie gegenüber dem Süßstoff Aspartam den Vorteil, zum Backen und Kochen einsetzbar zu sein.

Nach Aufnahme werden Steviolglycoside im Darm zu Steviol gespalten. Ein Teil des Steviols wird über den Stuhl ausgeschieden, der Rest wird in der Leber zu Steviol-Glucuronid umgewandelt und über den Harn ausgeschieden. Demnach werden Steviol - Metaboliten im Organismus nicht gespeichert.

Coca Cola, Cherry, Vanilla, Lfe/ Wikipedia
Ein gesunder Süßstoff sollte man meinen! Und tatsächlich nach Zulassung genoss er den Ruf als „Wunderpflanze“, „Wundermittel“, wurde als  „pure Süße aus der Natur“ angepriesen - leider nur für kurze Zeit.
Denn schon ab 2012 wurden die Steviolglycoside zu „ kläglichen Resten einer vermeintlichen Wunderpflanze“, „Wundersüße ohne Wunder“  oder am harmlosesten zum „Zuckerersatz mit Haken“ degradiert.

Vor diesen Hintergrund kam die „grüne Coca Cola Life“ gerade richtig auf den Markt, die zuckerärmere Stevia-Variante des klassischen Erfrischungsgetränks, im wunderbaren  Gewand, dargestellt als grünes Etikett mit Zutatenverzeichnis und Abbildung eines Steviakrauts.
„Wahre Zuckerbombe“, „Grüner Schwindel“ hieß es und die Verbraucherzentrale Hannover verpasste dem grünen Getränk rotes Licht! Denn statt 18 Zuckerwürfel  (etwa 55 g), die eine klassische Coca-Cola in 0,5 l enthält, sind es bei der „grünen“ immerhin noch 11 Zuckerwürfel (34 g) pro 0,5 l. Und die von WHO empfohlene Zuckerhöchstmenge am Tag liegt für Frauen bei 25 g, für Männer bei 30 g.

Warum hat der Hersteller nicht mehr Steviolglycoside eingesetzt?
Um zu gewährleisten, dass die von der EFSA festgelegte akzeptable tägliche Aufnahmemenge (ADI-Wert = 4 mg /kg Körpergewicht) nicht überschritten wird. Dies bedeutet, dass in den entsprechenden Lebensmitteln  nur vergleichsweise geringe Mengen an  Steviolglycosiden verwendet werden dürfen!
Laut Agrarwissenschaftler der Uni Hohenheim reiche aber diese Menge nicht aus, um das Erfrischungsgetränk ausschließlich mit Stevia zu süßen. So bleibt dem Hersteller nichts anderes übrig, als den Rest mit Zucker aufzufüllen. Die „grüne“ Cola hat allerdings eine Reduzierung des Zucker/Kalorien-Gehalts um fast 40% erreicht.

Oft werden Süßwaren mit bildlichen Darstellungen der Steviakraut oder dem Begriff Stevia versehen. Das könnte doch irreführend sein, da sie den trügerischen Eindruck einer Natürlichkeit vermittelten, und zudem sei die Pflanze selbst gar nicht als Süßstoff zugelassen. Das Landgericht Rostock sah dies anders, (Az.: 3 O 144/13). Die Begründung: dem rückseitig angebrachten Erklärungstext und dem Zutatenverzeichnis könne problemlos entnommen werden, dass das Produkt mit Steviolglycosiden gesüßt sei. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Als Argument gegen den „natürlichen Ursprung“ der aus Steviakraut gewonnenen Steviolglycosiden wird es auch ausgeführt, dass sie längst nicht so natürlich seien, da ihr Herstellungsverfahren hochtechnisch und aufwendig sei. Sie seien nichts anderes als ein normaler Süßstoff.
Erstaunlicherweise werden in der Liste bereits zugelassener Süßstoffe unter  E 957 „Thaumatin“ und unter E 959 „Neohesperidin DC“ als „natürliche Süßstoffe“ aufgeführt.
Die Ausbeute bei der Isolierung von „Thaumatin“ aus einer  westafrikanischen Pflanze ist sehr gering: aus 1kg lassen sich nur 6 g Thaumatin isolieren. Aber 2012 gelang es an der Technischen Universität München gentechnisch veränderte Hefen zu erzeugen, die Thaumatin produzieren. Gehört nun Thaumatin weiterhin der Klasse zugelassener „natürlicher Süßstoffe“?
E 959 „Neohesperidin DC“  wird aus seiner Vorstufe hergestellt, dem Flavonoid Neohesperidin, das von Natur aus in Zitrusfrüchten vorkommt. Ob „Neohesperidin DC“  die Bewahrung seiner „Natürlichkeit“ einem  weniger hochtechnischen und aufwendigen Herstellungsverfahren zu verdanken hat?

Hoffentlich wird der Süßstoff: E 960, ein Extrakt aus dem Steviakraut, nicht zu Tode geredet.
"Die Schlimmste aller Todesarten ist, zu Tode geredet zu werden" - sagte Mark Twain
Es wäre schade!