Donnerstag, 30. September 2021

Fleisch: Nahrungsmittel an einem radikalen Scheideweg

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Es ist nicht das erste Nahrungsmittel in dieser Situation
Butter, Eier beispielsweise haben ihre Scheidewege hinter sich.

Butter, ein tierisches Fett aus vielen gesättigten Fettsäuren, die den Cholesterin - Spiegel im Blut in die Höhe treiben. Und Cholesterin kann sich in den Gefäßen ablagern und Herz-Kreislauf- Erkrankungen hervorrufen!
Aber in Butter sind  auch 2 der wichtigsten ungesättigten Fettsäuren enthalten, die Gefäße und Herz schützen: eine Omega-6-Fettsäure /die Linolsäure/ und eine Omega-3-Fettsäure/ die Alpha-Linolensäure.
Ohne Fett könnte der Körper auch keine Vitamine  (A, D, E, K) aufnehmen. Zudem ist Fett Bestandteil der Zellmembranen. Und damit Zellmembranen flexibel sind, braucht es noch einen weiteren Stoff, der in der Butter enthalten ist:  Cholesterin.

Der schlechte Ruf der Eier beruhte auch auf ihrem hohen Cholesterin - Gehalt.
Mittlerweile haben Wissenschaftler jedoch festgestellt, dass das im Ei enthaltene LECITHIN  die Aufnahme von Cholesterin im Darm senkt. So werde das von Organismus nicht aufgenommene Cholesterin einfach wieder ausgeschieden. 

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Diese Erkenntnisse bewirkten einen Wendepunkt im Umgang mit Butter und Eiern. Sie führten dazu, dass Cholesterinbedenken bezüglich Butter- oder Ei- Genuss bei der Mehrzahl der Menschen unbegründet sei. Ein gesunder Organismus steuere sowohl Nahrungscholesterin als auch das körpereigene Cholesterin selbst.
Erbliche Faktoren, Übergewicht, Stress, Bewegungsmangel würden einen viel größeren Einfluss  auf den Cholesterin-Spiegel im Blut haben.
 

Nun das Fleisch!
Der ernährungsphysiologische Wert von Fleisch ist unbestritten.
Fleisch enthält wichtige Spurenelemente wie Eisen, Zink, Selen sowie Vitamin A und B-Vitamine.
Fleisch ist reich an essentiellen Aminosäuren, d.h. Aminosäuren, die nicht vom Körper aufgebaut werden können und mit der Nahrung zugeführt werden müssen. Sie haben eine hohe biologische Wertigkeit.

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Mit den gelieferten Aminosäuren liefert Fleisch aber gleichzeig bestimmte Eiweißbegleitstoff, die im Körper zu Harnsäure abgebaut und normalerweise über den Urin ausgeschieden werden - die Purine. Bei Menschen mit einem gestörten Harnsäure-Stoffwechsel kann eine Purin - reiche Ernährung zu Gichtanfällen führen.


Fett- und Cholesteringehalts beeinträchtigt auch den guten Ruf des Fleisches.
Allerdings ist Fleisch mittlerweile immer fettärmer geworden.
Mit dem Fettgehalt in Schweine- und Rindfleisch ist auch der Anteil an gesättigten Fettsäuren gesunken und der Anteil ungesättigter Fettsäuren ( Omega-6-Fettsäuren und Omega3-Fettsäuren) gestiegen.
Die Fettzusammensetzung im Schweinefleisch unterscheidet sich aber von der im Rindfleisch. So zeigt das Schweinefleisch ein günstigeres Verhältnis hinsichtlich der ungesättigten und gesättigten Fettsäuren als das Rindfleisch.
Dafür ist bei Rindern aus Weidehaltung das Verhältnis von Omega-3- zu Omega-6- Fettsäuren besser als bei Schweinen.
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Außerdem kann der Verzehr von Nahrungsmitteln mit cholesterinbindenden Ballaststoffen, wie Vollkornbackwaren, Gemüse und Obst, ausgleichend auf Nahrungscholesterin oder sogar senkend wirken.

Dennoch! Trotz vielen gut verfügbaren Inhaltsstoffe von Fleisch gibt es immer wieder Berichte, denen zufolge insbesondere rotes Fleisch  und verarbeitetes Fleisch bei manchen Menschen Krebs und Herz- und Kreislauf-Erkrankungen begünstigen sollen.
Vor diesem Hintergrund hat die WHO  2015 verarbeitetes Fleisch als krebserregend und rotes Fleisch als wahrscheinlich krebserregend eingestuft.

Das Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) ist allerdings anderer Ansicht. Denn nach jetzigem Kenntnisstand könne keinen eindeutigen kausalen Zusammenhang zwischen Fleischkonsum und Krebs oder anderen tödlichen Ursachen abgeleitet werden.
Es gebe wahrscheinlich mehrere Ursachen: von genetischen Faktoren über chemische Verbindungen, die bei Zubereitung entstehen können, bis zum Salzgehalt verarbeiteter Fleischprodukte. Die Verzehrmenge sei dabei entscheidend. Aus diesem Grund raten beispielsweise das American Institute for Cancer Research und der World Cancer Research Fund, dass nicht mehr als 500 gr. Rotes Fleisch  pro Woche  gegessen werden sollten, davon so wenig wie möglich verarbeitetes Fleisch. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfiehlt nicht mehr als 300 bis 600 gr. Fleisch pro Woche zu essen

ALTERNATIVEN? Ernährungswissenschaftler  gehen davon aus, dass die Eisenverbindung in rotem Fleisch /das Hämeisen möglicherweise in höheren Konzentration Zellen schädigen  könne. So gesehen, wird weißes Fleisch / Geflügelfleisch als Alternative zu rotem Fleisch empfohlen.

Aber man überlegte auch, ob man weitermachen wie bisher oder eine andere Richtung einschlagen sollte. Ergebnis der Überlegungen:  STATT Fleisch – PFLANZLICHE ERSATZPRODUKTE. Ihre Palette ist mittlerweile sehr vielfältig geworden.. So beispielsweise:
Tofu - aus Sojabohnen, kalorienarm und mit viel Eiweiß, besitzt kaum Eigengeschmack, kann wie Fleisch gewürzt werden

Seitan - aus Eiweiß des Weizenmehls /Gluten
Quorn - aus Pilzkulturen, kann Hühnereiweß enthalten
Beyond Meat- aus Wasser, Erbsproteinen und rote Beete, die für eine fleischähnliche Farbe sorgen soll.

Veggie Burger Quelle.AdobeStock
Mit ihren tierisch anmutenden Bezeichnungen – Steak, Burger, Schnitzel, Hackfleisch -  können diese pflanzlichen Ersatzprodukte auch eine emotionale Bindung zur Welt der wahren Fleischprodukte herstellen.
Ist aber ein Veggie – Steak, Veggie - Burger , Veggie-Schnitzel, Veggie - Hackfleisch das Ei des Columbus in der Sache „gesunde Ernährung“? Wohl nicht. Es handelt sich dabei oft um verarbeitete Lebensmittel mit vielen Zusatzstoffen. Damit sie feste Konsistenz haben, wird den Produkten u.a. auch  viel Zucker, Salz hinzugesetzt.

Demnach steht das Fleisch nach wie vor an einem Scheideweg, an einem ganz besonderen Scheideweg, bei dem eine mögliche Richtungsentscheidung einen gewaltigen Wandel für die menschliche Ernährung  bedeuten könnte.
Der Name dieser möglichen Richtungsentscheidung: Herstellung von KUNSTFLEISCH auch „Clean Meat“ genannt,  oder „in vitro“- Fleisch, wie es in der Fachsprache heißt.

Für die Herstellung von KUNSTFLEISCH werden einem Tier Stammzellen entnommen und in einer Nährlösung vermehrt. Die Ausgangszellen können aus dem jeweiligen Tier schmerzfrei durch Biopsie und ohne Tötung entnommen werden. Nach einigen Wochen entsteht ein Gewebe, das ähnlich wie Hackfleisch ober Wurst verarbeitet werden kann.   
Für die Nährlösung, in der die Stammzellen reifen, wird bislang Serum aus dem Blut ungeborener Kälber benutzt. Doch Wissenschaftler arbeiten an pflanzlichen Alternativen 

Hanburger in-vitro/ Wikipedia


Der erste in-vitro- Burger wurde 2013 in London, von einem niederländischen Forscherteam der Universität Maastricht um Professor Mark Post präsentiert. Die Zubereitung kostete 250.000 Euro. 

Die Herstellung eines „Kunst-Steaks“ ist etwas komplizierter. Da müssen Muskel, Bindegewebe, Fett, Wasser zusammengebracht werden.
Japanischen Wissenschaftlern der Osaka University ist es gelungen, Rindfleisch im Labor zu erzeugen. Dafür ahmten sie die Struktur einer der teuersten Rindfleisch-Sorten der Welt, der Wagyu-Rinderrasse nach, indem  sie zunächst verschiedene Gewebetypen züchteten. Aus diesen wurden dann mit einem speziellen 3D-Drucker Fasern von Muskel-, Fett- und Gefäßgewebe erzeugt. 

Die so entstandenen einzelnen Fasertypen, manuell zusammengesetzt, entsprachen dann der Struktur des natürlichen Fleisches.
Die Verbesserung dieser Technologie werde nicht nur die Reproduzierung von Fleischstrukturen ermöglichen, sondern auch eine Anpassung des Fett – Muskel -Verhältnisses, so die japanischen Wissenschaftler.  
Kunden könnten dann „nach Gusto“ oder mit Rücksicht auf gesundheitliche Probleme Laborfleisch mit der gewünschten Menge Fett bestellen. 

Das Kunstfleisch scheint  mittlerweile weltweit als großer Zukunftsmarkt angesehen zu sein.
Bekannte Investoren wie Microsoft-Gründer Bill Gates, Google-Gründer Sergey Brin stecken Millionen in die Clean Meat - Technik.
Silicon Valley wäre nicht Silicon Valley, wenn es sich nicht des Themas annehmen würde. Start-ups wie Memphis Meats und Eat Just und Organisationen wie das Good Food Institute und das Forschungszentrum  Berkeley Alternative Meats Lab. beispielsweise tun ihr Bestes.

Der niederländische Kunstfleisch-Vorreiter Mark Post arbeitet  weiter mit seiner Fa. Mosa Meat. Er erhielt 85 Millionen Euro,. um die Produktion von alternativem Rindfleisch auszubauen.
Auch der deutsche Geflügelkonzern PHW, bekannt als Wiesenhof, investiert in Kunstfleisch-Start-Ups.
Die erst 2017 gegründete israelische  Firma Aleph Farms macht schnelle Fortschritte. Sie präsentierte Anfang des Jahres den Prototyp eines Steaks, das für die industrielle Massenfertigung geeignet sei.
China, Japan, Singapur sind auch dabei.
Im Dezember 2020 erteilte die Regierung von Singapur die weltweit erste Zulassung für ein Produkt aus Kunstfleisch, das in Restaurants zum Verkauf angeboten werden soll. Dabei geht es um Chicken Nuggets,  in Bioreaktoren aus Hühnerfleischzellen gezüchtetes Kunstfleisch, wie der US-hersteller Eat Just mitteilte. Vom Start an werde der Preis für die Chicken Nuggets etwa auf dem Niveau von Hühnchenfleisch in einem Oberklasse-Restaurant liegen, sagte ein Sprecher, ohne die genaue Summe zu beziffern.

Kunstfleisch – nicht nur ein gewaltiger Wandel für die menschliche Ernährung, sondern laut Ernährungswissenschaftlern auch ein Wandel mit großem Potenzial um  Probleme im Zusammenhang mit den Umweltauswirkungen der Fleischproduktion, dem Tierschutz, der Ernährungssicherung und der menschlichen Gesundheit zu lösen!
Technologische Voraussetzungen sind grundsätzlich da, aber die  Produktionskosten sind noch hoch, um gegen das konventionelle Fleisch antreten zu können.

„Wenn wir das schaffen, haben wir der Welt einen großen Gefallen getan. Für die Umwelt, für die Ernährungssicherung und für die Tiere“, 

sagt der Vorreiter des Kunstfleisches Mark Post und arbeitet mit seiner Firma Mosa Meat daran.
Und zur Erreichung dieses Ziels arbeiten außer ihm weitere Ernährungswissenschaftler, Kunstfleisch-Hersteller und Ökosysteme als Schnittstelle von natur- und sozialwissenschaftlicher Umweltforschung in der ganzen Welt.