Montag, 8. August 2016

Lebensmittel-Kennzeichnung: der kleine Unterschied mit großer Wirkung

Die europaweit geltenden Regelungen zur Lebensmittelkennzeichnung, die Lebensmittel-Informationsverordnung (LMIV) ist seit dem 13.12 2014 i.Kr. Sie soll gewährleisten, dass der mit ausführlichen Informationen gewappnete Verbraucher - trotz  Hektik des Alltags - imstande ist, beim Lebensmittelkauf eine für sich geeignete Auswahl  zu treffen und gleichzeitig  etwas Gutes für die Umwelt zu tun: weniger Lebensmittel in die Mülltonne befördern, die noch gut hätten verzehrt werden könnten.  Denn die Lebensmittelverschwendung sei einer Studie der WWF zufolge  nach wie vor hoch. Die Studie kam zu dem Ergebnis, dass In Deutschland pro Jahr insgesamt über 18 Mio. Tonnen Nahrungsmittel verloren gehen würden. Im Schnitt sollen die Deutschen also 313 Kilo genießbare Nahrungsmittel unnötig wegwerfen - pro Sekunde.
Quelle:123rf
Die LMIV umfasst eine Reihe von Kennzeichnungspflichten: allgemeine Pflichtangaben, spezielle Pflichtangaben, freiwillige Angaben, die Unternehmen bereitstellen, Güte / Qualitäts-Siegel, die Orientierung bieten sollen. „Regionale Fenster“ werden weiterhin gestattet, um die regionale Herkunft der Produkte kenntlich zu machen.

Zu den allgemeinen Pflichtangaben gehören  u. a. Angaben über das Mindesthaltbarkeits- oder Verbrauchsdatum.
Wie alle verpflichtenden Informationen über Lebensmittel werden die Angaben  über das Mindesthaltbarkeits- oder Verbrauchsdatum, wie vorgeschrieben,  in einer für uns Verbraucher „ leicht verständlichen Sprache“  formuliert: „mindestens haltbar bis …“ oder „zu verbrauchen bis…“
Sollte man meinen!
Der kleine sinngemäße Unterschied  in der Formulierung beider Begriffe scheint jedoch nicht immer richtig aufgefasst zu werden. Und eben dieser kleine anscheinend unverständliche Unterschied soll einer der triftigsten Gründe für die sündhafte Lebensmittelverschwendung darstellen. Anfragen an die Verbraucherzentralen würden zeigen, dass über die Bedeutung des Mindesthaltbarkeitsdatums (MHD) häufig Unsicherheit besteht. Aus diesem Grund sollen Verbraucher zum Teil das MHD mit dem Verbrauchsdatum gleich setzen und es als „Verfallsdatum“, sprich  „gut für die Tonne“, interpretieren!
Quelle:123rf

Das MHD, ist ein Datum, bis zu dem das Lebensmittel bei richtiger Aufbewahrung seine spezifischen Eigenschaften (seine Zusammensetzung, seinen Genusswert, also in Geruch oder Geschmack) behält:
Mindestens haltbar bis ...
  •   ... gibt an, bis zu welchem Tag, Monat oder Jahr das ungeöffnete und richtig gelagerte Lebensmittel seine spezifischen Eigenschaften wie Geschmack, Geruch, Farbe, Konsistenz  und Nährwert behält       
  •   ... gilt nur für die original verschlossene Packung. Das Öffnen führt dazu, dass Sauerstoff, Feuchtigkeit oder Mikroorganismen Zugang zum Lebensmittel haben und damit zu einem beschleunigten Verderb führen können
  •     ... gilt nur bei sachgemäßem Transport vom Lebensmittelgeschäft nach Hause und fachgerechter Lagerung der Produkte, insbesondere bei Einhaltung der eventuell mit dem MHD angegebene Kühlempfehlung. 
Nach Ablauf des MHD ist die Ware nicht automatisch verdorben. Deshalb gilt: Die Produkte einer „sinnlichen“ Kontrolle(schauen, tasten, schmecken, riechen) unterziehen. Der Verderb von Lebensmitteln, bei denen das Mindesthaltbarkeitsdatum schon etwas länger zurück liegt, ist meist leicht erkennbar.

Anders das Verbrauchsdatum. Dieses kennzeichnet  den letzten Tag, an dem ein Lebensmittel verzehrt werden sollte (verbraucht = bis nichts mehr davon vorhanden ist):
 Zu verbrauchen bis
•    ... ist anzugeben bei einigen leicht verderblichen Lebensmitteln, die durch Keime sehr leicht verderben und die dann nach kurzer Zeit eine unmittelbare Gefahr für die menschliche Gesundheit darstellen können, (wie Hackfleisch, frische Bratwurst und andere frische Fleischprodukte, frisches Geflügel, geräucherter Fisch, Feinkostsalate, bereits geschnittene Salate)
•    … gilt, bei strenger Einhaltung  der angegebenen Lagerungsbedingungen, (z.B. Kühlung inklusive Kühltemperatur). Wichtig ist auch die Beachtung der Kühlkette beim Transport der Produkte vom Geschäft nach Hause

Nach Ablauf des Verbrauchsdatums dürfen diese Lebensmittel nicht mehr verkauft werden.
Nach Ablauf des Verbrauchsdatums sollte das Produkt nicht  mehr verzehrt werden.

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Um Lebensmittelabfälle zu vermeiden, sind solche Lebensmittel von der Pflicht zur Angabe des MHD befreit, bei denen sich auch bei langer Lagerungsdauer die Qualität nicht verändert.
Kein MHD brauchen: frisches ungeschältes Obst und Gemüse, Zucker, Essig, Salz, Kaugummi, bestimmte alkoholhaltige Getränke  und solche Backwaren, die normalerweise innerhalb von 24 Stunden verzehrt werden

Eine Richtlinie soll  noch in Arbeit sein, welche  die Liste der Ausnahmen vom MHD auf Nudeln, Reis, Mehl  erweitere. Was  sinnvoll erscheint, wie  auch die Verbraucherzentrale Hamburg  darauf hinweist, da diese Nahrungsmittel bei trockener Lagerung viele Monate nach dem MHD haltbar seien.

Beherzigt man ein paar Experten-Tipps, kann man der Verschwendung von Lebensmitteln im Alltag noch einfacher Herr werden:
-    Bewusst einkaufen, d. h. nur so viel einkaufen, wie man vor Ablauf de MHD voraussichtlich verbrauchen wird. Ein Einkaufzettel könnte dabei helfen, die Prozedere sinnvoll zu gestalten;
-    Vorräte kontrollieren. Denn richtig lagern schützt vor Verderb und ermöglicht Vorräte als sinnvolle Ergänzung auf den Speiseplan zu setzen -  sollten sie eine „sinnliche“ Kontrolle
überstanden haben;
-    von großen, günstig angebotenen  Packungen nicht verführen lassen. Sie werden teuer, wenn anschließend ein Teil davon im Müll landet. Wenn bei aller Planung doch etwas übrig bleibt, dann einfrieren oder weiter verwerten

Neben diesen altbekannten Empfehlungen gibt es aber auch zeitgemäße Möglichkeiten zur Vermeidung von Lebensmittelabfällen im Haushalt: die Initiative „Zu gut für die Tonne“, zum Beispiel. Es geht dabei um Kochideen für die kreative Resteküche - mit der kostenlosen Smartphone- und Tablet-App des BMEL. Die App schränkt die Auswahl automatisch auf mögliche Kombinationen ein und wirft passende Kochrezepte aus. Mehr als 450 Reste-Rezepte von Sterneköchen, prominenten Kochpaten und Hobbyköchen sind mittlerweile online. Die Rezeptdatenbank wird ständig neu bestückt und lässt sich innerhalb der Anwendung per Knopfdruck aktualisieren.
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Und in der  nahen Zukunft?
Aktive und intelligente Verpackungen werden immer öfter die Verbraucher von der Last des kleinen Unterschieds MHD / Verbrauchsdatum befreien und ihm somit in Kampf gegen die sündhafte Lebensmittelverschwendung beistehen.
Mit aktiven Verpackungen können aufgrund verschiedener aktiver Systeme nicht nur die Qualität verpackter Lebensmittel verbessert, sondern auch ihre Haltbarkeit verlängert werden.
So z.B. die FEUCHTIGKEITSREGULATION. Mittels feuchtregulierender Verpackungsmaterialein können die verpackten Lebensmittel trocken gehalten werden - wie dies bei  Verpackungen von Frischfleischprodukten unter Schutzgas weit verbreitet ist.
Oder die SAUERSTPFFABSORPTION um noch ein beispiel zu nennen.
Mikroorganismen in oder auf Lebensmittel, führen den Verderb des Lebensmittels herbei (gut für die Tonne)  und verursachen bei Verzehr zum Teil Erkrankungen, zum Beispiel des Magen-Darm-Traktes. Um diese Prozesse zu unterbinden, wurden Verpackungen entwickelt, die das Wachstum von Keimen hemmen. Dabei wirken Silberverbindungen, organische Säuren oder andere Konservierungsmittel antimikrobiell.
Das Problem: Da die Bestandteile aktiver Verpackungen nicht gekennzeichnet werden müssen, erfahren Verbraucher auch in diesem Fall nicht, bei welchen Produkten diese Technik bereits zum Einsatz kommt. Grundsätzlich dürfen aber nur zugelassene Stoffe eingesetzt werden.
 Die intelligenten Verpackungen lassen erkennen,  ob ein kritischer Grenzwert wie Frische, Temperatur, Zeit, überschritten ist.
Es gibt FRISCHEINDIKATOREN  wie Sauerstoff- oder Schwefeldioxid-Indikatoren, die in Flaschen ihre Farbe ändern, wenn der Inhalt nicht mehr genießbar ist.
Oder die ZEIT-TEMPERATUR-INDIKATOREN durch deren Einsatz  angezeigt werden kann, ob tiefgefrorene Produkte durchgängig gefroren waren oder ob bei empfindlichen Lebensmitteln die Kühlkette immer eingehalten wurde, (Verbrauchsdatum).
Es gibt auch intelligente FUNKCHIPS, auf die Verpackung aufgebracht oder in diese integriert, mit deren Hilfe beispielsweise Herstell- oder Abfülldatum gespeichert  werden können, um  dann mit entsprechenden Lesegeräten abgerufen zu werden. Die Chips bieten allerdings  auch die Möglichkeit, beim Einkauf Daten über die Vorlieben einzelner Verbraucher zu erfassen. So stehen, neben den Kosten, auch Fragen des Datenschutzes im Raum, so die Verbraucherzentrale.

Was aber mit Produkten, die von dem kleinen Unterschied unberührt bleiben, da sie von der Pflicht zur Angabe des MHD befreit sind, (wie z. B. Obst, Gemüse). Zu viel davon gekauft, zuhause zu lange gelagert, verschimmeln sie  und landen in dem Müll. Eine „Strafgebühr“ gefällig, zum Aufrütteln? XY Euro, wenn die Abfalltonne z % Lebensmittelmüll enthält.
Vor kurzem war ein Bericht im Nachrichtenmagazin , (Heft 31, 28.07.2016): “Wer nicht aufisst, zahlt Strafe“!
Es ging um asiatische Restaurants. Bundesweit versuchen immer mehr asiatische All-you-can-eat-Lokale die Gäste zu disziplinieren: wer sich am Büffet zu viel nimmt und am Ende die Teller nicht leer zurücklässt, muss zahlen. Die Strafen sollen unterschiedlich hart ausfallen: Das „Yangtse“ in Hürth soll 2 Euro pro 100 g Überfüllung verlangen, das Kölner „Sushi am Ring“ bis zu 6 Euro pro Portion.
In der Zwischenzeit sollen auch die Manager von Spitzenhotels die Entwicklung asiatischer Sanktionen verfolgen. Denn an ihren Frühstücksbüffets kennen sie diese Verschwendung ebenfalls.

Im Grunde genommen könnte man zusammenfassend sagen, dass ein großer Teil der Lebensmittel nach Produktion, Verarbeitung, Verpackung, Transport und Lagerung vernichtet werden.Und bei der Vernichtung ist der Verbraucher dabei. Der Grund hierfür? Weil Verbraucher möglicherweise noch das MHD falsch verstehen und dann als Vorsichtsmaßnahme viele Lebensmittel in die Tonne befördern.
Diese Verschwendung bedeutet nicht nur Geldverschwendung, sondern sie löst laut Verbraucherzentralen auch ökologisch eine Kettenreaktion aus: Verschwendung von Rohstoffen,die zu einer unnötigen Verknappung führe, was wiederum die Preise in die Höhe treibe.

Quelle:123rf
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Nun, es ist höchste Zeit, Augen weit offen zu halten, um die vorschriftmäßig in gut lesbarer Mindestschriftgröße von 1,2 mm (bei einer Oberfläche der Verpackung kleiner 80 mm2, wie bei Schokoriegel, jedoch mindesten 0,9 mm) angebrachten Angaben für MHD und Verbrauchsdatum zu lesen, in sich zu gehen, um sich den kleinen Unterschied MHD / Verbrauchsdatum zu merken und dann zu veränderten Konsumgewohnheiten  überzugehen.
  „Im Deutschen reimt sich Geld auf Welt; es ist kaum möglich, dass es einen  vernünftigeren  Reim gebe“
                                                       Georg Christoph Lichtenberg
                                                                    1742-1790
… und ein vernünftigeres Argument um seine Konsumgewohnheiten zu verändern. Besser als eine etwaige "Strafgebühr“