Sonntag, 30. November 2014

3 der gängigsten NSAR in Deutschland: Acetylsalicylsäure, Ibuprofen und Diclofenac. Sind sie so schlecht wie ihr Ruf?

Man kann  die WHO-Definition der Gesundheit nicht oft genug auf der Zunge zergehen lassen:

„Gesundheit ist die Fähigkeit von Menschen, Alltagsbelastungen ohne wesentliche Einbußen
des körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefindens bewältigen zu können“.

Bei dieser Art von Gesundheit geht es nicht mehr vorrangig um Lebensrettung oder  Abwesenheit von Krankheiten / Behinderung. Diese  Gesundheit 2.0 ist Teil unseres Lebensstils geworden. Heute möchten immer mehr Menschen etwas für ihre Gesundheit tun und nutzen gesundheitsfördernde Produkte und Dienstleistungen. Es wird immer wichtiger für Menschen, auch im hohen Alter noch gesund, fit und mobil zu sein. À propos MOBIL!  Der mobile Lifestyle, der die Überwachung des Partners, der Kinder, der Hunde  ermöglicht, gewinnt mit seinen entsprechenden Apps auch für Gesundheitsprobleme immer mehr an Beliebtheit.
Trotz allen Fortschritts und guten Willens bleiben wir jedoch Menschen, Wesen mit Stärken und Schwächen. Ein Zuviel der Alltagsprobleme  kann gelegentlich eigene Gesundheitspotentiale erschöpfen, so dass unsere Reaktion auf die Herausforderungen der Umwelt nicht mehr ohne (wesentliche) Einbuße von statten gehen kann. Folgen: die allseits bekannten Wohlstandskrankheiten.
Statistisch gesehen, soll sich gegenwärtig unter den am häufigsten  vorkommenden Wohlstandskrankheiten ein Wettlauf um den 1. Platz zwischen Übergewicht und schmerzbehafteten Beschwerden abspielen. Zu diesem Symptombereich gehören akute oder chronischen Schmerzen, Schwellungen und Entzündungen von Gelenken und gelenknahen Weichteilen, (Sport)Verletzungen.
Die Schmerzen sind belastend, sie schränken ein und die Einnahme eines Schmerzmittels kann ein leidvoller Tag erträglicher machen.
In Deutschland sind  Schmerzmittel mit Wirkstoffen wie Acetylsalicylsäure, Paracetamol, Ibuprofen oder Diclofenac praktisch "in aller Munde".

Informationsmaterial zu diesem Thema gibt es in Hülle und Fülle.
Die WHO z. B. veröffentlicht seit fast 40 Jahren eine Liste der essentiellen (unentbehrlichen) Arzneimittel. Die Liste wird alle 2 Jahre überarbeitet.
Nach der Definition der WHO sind essentielle (unentbehrliche) Arzneimittel solche Arzneistoffe, die benötigt werden, um die dringlichsten Bedürfnisse der Bevölkerung zur medizinischen Versorgung zu befriedigen. Sie sollen in einem Gesundheitssystem in adäquater Menge, richtiger Dosierungsform, guter Qualität und zu einem für den Patienten erschwinglichen Preis verfügbar sein.
Wie in den vergangenen Jahren sind auch auf der aktuellen Liste (Stand 2013) unter den nicht opioiden Analgetika (schmerzstillenden) und nicht steroidalen entzündungshemmenden  Medikamenten  Acetylsalicylsäure, Paracetamol und Ibuprofen zu finden. Diclofenac ist nicht dabei. Dieser Stoff findet sich aber auf der Liste von über 30 Staaten, u.a. auch Deutschland. Er wird wie auch Acetylsalicylsäure (ASS) und Ibuprofen der Klasse der NSAR  (nicht steroidale Antirheumatika)auch NSAID genannt (non steroidal anti inflammatory drugs = nicht steroidale entzündungshemmende Medikamente) zugeordnet.

NSAR!
Nutzen und Risiko  der NSAR beruhen grundsätzlich auf der Hemmung  bestimmter Enzyme, der CYCLOOXYGENASE, (COX).

Es gibt mindestens zwei Arten der Cyclooxygenase, die für verschiedene Synthesewege der Prostaglandine stehen. So spielt die Cyklooxygenase-2 (COX-2) eine Rolle bei der Synthese der Prostaglandine, die eine Entzündungsreaktion verstärken oder aufrechterhalten, sowie in der Regulation von Fieber eingreifen können, (Entzüngsmediatoren). Die COX-1 ist entscheidend für die Synthese der Prostaglandine, die für den Schleimhautschutz, die Blutgerinnung und die Regulation des Elektrolyt- und Wasserhaushaltes stehen:
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Studien zufolge sei das Nebenwirkungsprofil des
einzelnen Wirkstoffs dieser Klasse verschieden,
da die einzelnen Wirkstoffe die Untergruppen der Cox
unterschiedlich stark hemmen. Wird beispielsweise
COX-1 stark gehemmnt, werden Magenblutungen
und Geschwüre wahrscheinlicher.
Wird dagegen selektiv COX-2 gehemmt, werden
Gefäßerkrankungen häufiger.

Der zu den NSAR gehörende Wirkstoff Acetylsalicylsäure, weltberühmt unter dem Markennamen Aspirin, wird seit Jahrzehnten in der Selbstmedikation
eingesetzt.  Er wirkt unter anderem schmerzstillend, fiebersenkend und entzündungshemmend, (COX-2).  Zahlreiche Studien belegen aber auch die Wirksamkeit von niedrig dosierter ASS  als Gerinnungshemmer  (COX-1) zur Prophylaxe von Herzinfarkten und Schlaganfällen.

Acetylsalicylsäure
Zu diesem letztgenannten Zweck mache eine langfristige ASS-Therapie auch einen Sinn, sagen Experten der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin (DGS), zumal diese Schmerzgeplagten meist unter ärztlicher Beobachtung stehen und, um einem gastrointestinalen Risiko entgegen zu wirken,  zusätzlich auch magenschützende Medikamente verabreicht bekommen.


Ibuprofen
Diclofenac
Das als klassisch bezeichnete NSAR Ibuprofen ist ein unspezifischer COX-Inhibitor, Diclofenac  ein COX-Inhibitor mit leichter COX-2-Präferenz.
Angesichts der enormen Verordnungszahlen (422,4 Millionen verordnete Tagesdosen für Ibuprofen und 419,8 Millionen für Diclofenac im Jahr 2011) war eine differenzierte Untersuchung der gastrointestinalen und kardiovaskulären Risiken dieser Schmerzmittel geboten. Die Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft  (AkdÄ) hat eine solche Analyse veröffentlicht.

Das Fazit: Für Ibuprofen ergebe sich im Vergleich zu anderen NSAR das günstigste Magen-Darmtrakt-Risikoprofil. Nicht jedoch  für Ibuprofen in hohen Dosen, das  Studien zufolge  ein ähnlich großes gastrointestinales Risiko wie für Diclofenac zeige. Daten aus randomisierten Studien zeigten gar ein noch höheres Risiko. Um Komplikationen zu vermeiden, empfiehlt die AkdÄ daher, Ibuprofen möglichst niedrig zu dosieren.

In Bezug auf kardiovaskuläre Risiken liege bei Ibuprofen ein geringes Risiko vor. Allerdings würden noch nicht abgeschlossene Studien auch zeigen, dass sogar eine kurze Parallelgabe von Ibuprofen und ASS dieses Risiko steigere - womöglich durch Einschränkung der ASS in der Wirkung als  COX-1-Hemmer.

Im Vergleich zu anderen NSAR fiele der kardiovaskuläre Risikoanstieg am höchsten unter Diclofenac aus. Die AkdÄ verweist deshalb auf die jüngste Empfehlung der  europäischen Arzneimittel-Zulassungsbehörde EMA. Demnach sollen Patienten mit schweren kardiovaskulären Erkrankungen wie Herzinsuffizienz, Herzinfarkt oder Schlaganfall in der Vorgeschichte Diclofenac nicht anwenden. Bei Patienten mit kardiovaskulären Risikofaktoren (Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörungen, Diabetes oder Rauchen) soll es nur nach sorgfältiger Abwägung eingesetzt werden.

Im Grunde genommen, kann man sagen, dass nach heutigem Erkenntnisstand den NSAR  ASS, Ibuprofen und Diclofenac eine zentrale Rolle in der medikamentösen Schmerztherapie zukommt. In adäquaten Mengen und richtiger Dosierungsform  sind sie oft imstande, für uns,Wesen mit zeitweise geschwächten Stärken, die nötigen Voraussetzungen zu schaffen, damit wir wieder angemessen mit den Herausforderungen der Gesundheit 2.0 umgehen können.

Wie alle NSAR wirken Acetylsalicylsäure, Ibuprofen und Diclofenac schnell. Das neueste Super-Aspirin noch schneller.
Sie wirken entzündungshemmend und schmerzstillend, weil sie die Prostaglandine in ihrer Funktion hemmen. Das bedeutet, dass die Prostaglandine überall im Körper nicht mehr ihre volle Funktion ausüben können.
Wegen der Einwirkung von NSAR auf den Wirkmechanismus der Prostaglandine ergeben sich jedoch viele Nebenwirkungen, die teilweise recht schwerwiegend sein können. Besonders häufig sind Erkrankungen des Magen- Darmtrakts. Hypertonien, Herzinfarkt, Schlaganfall seien auch möglich. Die US-amerikanische Zulassungsbehörde FDA warnt vor Leberschäden bei Anwendung von Diclofenac.

Vor diesem Hintergrund sind Risiko und Nutzen sorgfältig abzuwägen. Besonders bei langfristigen Einnahmen. Aber von  wem?
Medikamente mit dem Wirkstoff Acetylsalicylsäure sowie niedrig dosiertes Diclofenac oder Ibuprofen, einsetzbar bei leichteren Schmerzen sind freiverkäuflich.
Wer ab und zu eine Tablette davon schluckt, habe laut Experten in der Regel weder ernsthafte Magen- oder Darmbeschwerden zu befürchten, noch einen Herzinfarkt oder Schlaganfall zu erleiden.

Anders verhält es sich mit Leidtragenden, die wegen ihrer chronischen Entzündungen oft längerfristig NSAR einnehmen müssen und sie diese Einnahme in Selbstmedikation durchführen.
Erfolgt die längerfristige Schmerztherapie nicht unter ärztlicher Kontrolle, kann sie schwer toxische Wirkungen auslösen. Denn die NSAR werden dann in willkürlichen Dosen und Zusammensetzungen eingenommen. Zu einer  Ibuprofen-haltigen Tablette, vielleicht auch noch Aspirin einwerfen?

Die Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie weist beispielsweise darauf hin, dass heute in einer ärztlichen Therapie bei Rheumapatienten viel mehr die Ursachen als die Symptome behandelt werden. Dabei seien die COX-Hemmer in der Regel nur noch Bedarfsmedikamente, die nicht täglich genommen werden.

Da grundsätzlich bei Anwendung von NSAR, so auch von ASS, Ibuprofen, Diclofenac, in der Selbstmedikation ein vermehrtes Auftreten von Risiken zu verzeichnen sei, fordert die Ärzteschaft eine bessere Aufklärung der Öffentlichkeit in NSAR-Fragen. Denn auch wenn der Nutzen dieser Medikamente in adäquater Menge und richtiger Dosierung ihr Risiko überwiegt, könne ihre Lutschbonbon-mäßige Anwendung oft verheerende Folgen haben -sagt die Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin, DGS. 

Hinweise wie „Raucher sterben früher“, „Rauchen kann tödlich sein“ oder „Rauchen verstopft Deine Arterien“ sollen Rauchern beim Abgewöhnen geholfen haben.
Die Beipackzettel aller Medikamente weisen auf Nebenwirkungen und Risiken eines Präparats hin. Vielleicht werden sie bei freiverkäuflichen Medikamenten nicht wahrgenommen? Würde ein drastischer Hinweis auf der Packung aufrütteln?
Dr. Gerhard Müller- Schwefe beispielsweise,  Präsident der DGS, beschreibt das gastrointestinale Risiko von ASS sehr plastisch:

„Nebenwirkung von ASS: Magen droht, sich selbst zu verdauen“

Ähnlich wie bei  Zigaretten, könnten womöglich derartige Warnhinweise zumindest die Ausmaße falscher Selbstmedikationen mit ihren schädlichen Folgen eindämmen und somit den ramponierten Ruf der so heiß geliebten und an und für sich nützlichen NSAR ASS, Ibuprofen oder Diclofenac wiederherstellen.