Freitag, 23. November 2012

Gesundheitswirtschaft und das Humankapital

...ehemals Gesundheitswesen und Patienten

Im SciFi-Thriller "I'm. Mortal" haben Wissenschaftler das menschliche Gen deaktiviert, das den Alterungsprozess auslöst. Wenn wir auch noch nicht so weit sind, Tatsache ist, dass statistisch gesehen, unsere Lebenserwartung stetig ansteigt.
Neugeborene Jungen werden durchschnittlich 77 Jahre und 9 Monate alt, Mädchen sogar 82 Jahre und 9 Monate. Sollte der positive Trend in diesem Tempo anhalten, werden einem 2009 geborenen Jungen nach statistischen Berechnungen eine Lebenserwartung von 86 Jahren und 5 Monaten, einem Mädchen sogar 90 Jahre und 8 Monaten in Aussicht gestellt.
Auch Ältere haben eine höhere Lebenserwartung. Ein heute 65-jähriger Mann kann statistisch gesehen damit rechnen, weitere 17 Jahre und 6 Monate zu leben. 65-jährige Frauen haben sogar noch 20 Jahre und 8 Monate vor sich.
Diese Entwicklung bedeutet, dass der Bedarf an medizinischen Leistungen weiter ansteigen wird und durch die Inanspruchnahme von immer mehr medizinische Leistungen die Kosten weiter anwachsen werden.

Vor diesem Hintergrund ist es beruhigend zu wissen, dass in unserer freiheitlichen Rechtsordnung das Gesundheitswesen immer mehr den guten Marktgesetzen unterliegen darf.
Für das so zu Gesundheitswirtschaft beförderte Gesundheitswesen bedeutet dies nichts anderes, als verstärkt auf Selbstverantwortlichkeit und Wirtschaftlichkeit zu setzen.
Zur Selbstverantwortlichkeit in der Gesundheitswirtschaft gehört nicht nur die Behandlung von Krankheiten und Gebrechen, sondern auch die Vorsorge.
Und die Gesundheitswirtschaft vertraut auf die Entscheidungskraft und die Zukunftsverantwortung des Betroffenen, um freiwillig für gesunde Lebens- und Ernährungsgewohnheiten vorzusorgen. Denn die Vorsorge bedeutet gute Lebensjahre, wenn man ein paar Regeln wie eine gesunde Ernährung, viel Bewegung, Verzicht auf Rauchen, mäßiger Alkoholkonsum beachtet und schafft, den (schlechten) Stress in Griff zu kriegen.

Tritt der Fall des Falles ein, dann wünscht man sich verständlicherweise individuelle Leistungen und eine bestmögliche Behandlung.
Auch der gesetzlich Versicherte kann in unserer freiheitlichen Rechtsordnung durch freiwillige finanzielle Selbstbeteiligung in die Einschätzung einbezogen werden, ob eine Behandlung oder ein bestimmtes Medikament erforderlich sind, ob er beim Zahnarzt eine Regelversorgung / gleichartige Versorgung oder sogar eine andersartige Versorgung seines Gebisses in Anspruch nimmt.
Ohne die freiwillige finanzielle Selbstbeteiligung des Versicherten könnte sich ein Arzt womöglich einen Verstoß gegen das Wirtschaftlichkeitsprinzip einhandeln, sollte er dem GKV-Patienten ein kostenaufwendigeres Medikament mit weniger Nebenwirkungen verordnen oder eine diagnostische Maßnahme vornehmen, um Risiken vorsorglich abzuklären.

Wir sind jedoch Menschen, und Menschen machen Fehler.
Viele Medikamente werden verordnet, aber nicht verbraucht. Manche Befunde werden doppelt erhoben, ärztliche Aufklärung und Dokumentation wird manchmal doppelt vorgenommen, eine und dieselbe diagnostische Maßnahme unsinnig wiederholt, Verwaltungsanforderungen an den Arzt steigern sich - wie das Paradebeispiel Praxisgebühr zeigt.
Von Wirtschaftlichkeit kann keine Rede sein: steigende Kosten, sinkende „Produktivität“ mit ggf. steigendem Qualitätsrisiko sind die Folgen.

Das Wirtschaftlichkeitsprinzip und die demografische Entwicklung erfordern dringend Maßnahmen. Steigende Kosten erhöhen dabei die Bereitschaft zu interdisziplinärer Zusammenarbeit und der Einsatz moderner Informations- und Kommunikationstechnologien ermöglicht heute die vernetzte Zusammenarbeit.
In naher Zukunft können Apps vor allem bei der Bekämpfung von „Zivilisationskrankheiten“ (Diabetes, Adipositas, Asthma, Bluthochdruck u. s. w.) den Gang zum Arzt sparen. Messwerte zum Blutdruck, Blutzucker, EKG könnten von zu Hause erfasst und anschließend per Smartphone an den Arzt übermittelt werden. Die Überwachung der Medikamenteneinnahme, der Abruf von Laborergebnissen ist unproblematisch.
Mehr als 240 identifizierte Telemedizinprojekte in mehr als 100 Städten und Kommunen sind ein Beleg dafür, dass Telemedizin in Deutschland angekommen ist und Rahmenbedingungen für Nachhaltigkeit und Regelversorgung unerlässlich sind. Unter dem Schwerpunkt Technologie und Dienstleistung im Wandel unterstützt das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) seit 2008 den Projektverbund E-Health@Home mit dem Schwerpunkt der Entwicklung von Geschäftsmodellen zur Unterstützung eines selbst bestimmten Lebens in einer alternden Gesellschaft.

Trotz nachweislich vieler Vorteile der Telemedizin warnen Ärzteverbände vor einer ausschließlich internetgestützten Telemedizin. Telemedizinische Verfahren könnten ärztliches Handeln unterstützen, sie seien aber kein Instrument, um ärztliche Kompetenz zu ersetzen. Das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient aufgrund eines persönlichen Kontakts bleibe die Grundlage jeder Behandlung. Nur, dass trotz ihrer Bedeutung und der Praxisgebühr gibt es in der Arzt-Patient-Beziehung immer wieder Probleme.
Die Praxisgebühr soll den Teufelskreis kurze Gesprächsdauer - Notwendigkeit von Folgeterminen - erhöhte Arbeitsüberlastung - kurze Gesprächsdauer splittern und ausufernde Kosten eindämmen.
Laut Experten zeigte sich aber keine nachhaltige Einsparwirkung durch dieses Verwaltungstool und es konnte auch keine allgemeine Veränderung in der Patientenzahl verzeichnet werden. Zudem kann in der Zeit, die für Verwaltungsaufgabe aufgewendet wird, kein Honorar erWIRTSCHAFTET werden.

Das Jahr 2012 neigt sich seinem Ende zu, ein paar Tage und wir haben den 1. Januar 2013.
Es ist der Tag ab dem die Praxisgebühr abgeschafft wird.
„Das Ende der Praxisgebühr ist eine gute Entscheidung. Damit geben wir den Versicherten Geld zurück, das sie hart erarbeitet haben“…sagte der Bundesgesundheitsminister.

Man kann sich ohne weiteres vorstellen, Ärzte werden durch den Wegfall der Gebühr und den damit verbundenen administrativen Aufwand mehr Zeit für Patienten aufwenden und das ärztliche Gespräch könnte grundsätzlich wieder durch eine adäquate Honorierung aufgewertet werden.

Es ist ein kleiner Schritt, aber ein wichtiger Schritt der Annäherung an die Realität:
Die gelöste Zeitproblematik führt voraussichtlich zu einer verbesserten Beziehung zwischen dem Arzt und einem Patient, als Träger potentieller Vergütungsgrundlagen aufgrund seiner freiwilligen finanziellen Selbstverantwortlichkeit.

Die Gesundheitswirtschaft ist dadurch auf einem guten Weg, effektivere Geschäftsmodelle der Daten- und Kommunikationsdienstleistungen zu nutzen, um ein selbstbestimmtes Leben in einer alternden Gesellschaft zu unterstützen.
Es wäre noch zu berücksichtigen, dass der Versicherte in seiner Eigenschaft als Humankapital ein wichtiger Faktor ist, der das Wachstum indirekt beeinflusst. Neben Bildung ist für den wirtschaftlichen Produktionsprozess die körperliche Leistungsfähigkeit bestimmend. Diese Leistungsfähigkeit wird durch  Gesundheitsleistungen gefördert - in der Vorsorge und Versorgung, demnächst rund um die Uhr.

Der RWE-Chef, Peter Terium, sagte vor kurzem in einem Gespräch mit dem Magazin STERN

„Wenn sie (Mitarbeiter) für dieses Unternehmen leben wollen, können sie das nur…wenn sie auch langfristig an ihre Gesundheit denken…. Mir bringt es nichts, wenn wir die nächste Generation Manager haben, die nicht mehr mit 46, sondern mit 36 ihr Burnout haben. Deswegen sage ich meinen Mitarbeitern mit Nachdruck: Sorge für dich selbst. Ein anderer wird es nicht tun“.