Donnerstag, 15. Dezember 2011

Geklickt, gekauft, geliefert: Folgen für die Arzt- Patient- Beziehung

Gesundheit von heute bedeutet die „Fähigkeit des Individuums, die eigenen Gesundheitspotentiale auszuschöpfen und auf die Herausforderungen der Umwelt zu reagieren“, (neue WHO Gesundheitsdefinition).
Die Gesundheit wird von uns Individuen in der alltäglichen Umwelt mit ihrer Vielfalt geschaffen und gelebt. Aus diesem Grund kann es passieren, dass unter bestimmten Umständen sie nicht mehr den Herausforderungen entsprechend reagieren kann. Die Gesundheit als Fähigkeit so manches zu meistern, kann in eine Schieflage geraten. Um die Balance wiederherzustellen oder zumindest eine stabile Schieflage zu schaffen, bedarf das Individuum ggf. der Fremdhilfe in Form einer Behandlung /Konsultation. Ein Individuum wird zum Patient (lat. patiens =„leidend“, „aushaltend“, „zäh“) oder Klient (lat. cliens = „Schutzbefohlene“).
Ob nun PATIENT oder KLIENT - beide sind mehr oder weniger angeschlagene Individuen.

Betrachten wir den Patienten.
Selbst zähe Leidende können nicht ewig aushalten. Hilfe zu suchen bei demjenigen, der einen Heilberuf ausübt, wird unausweichlich.
Und das ist der Beginn einer „wert-vollen“ Arzt-Patient-Beziehung.

Damit die Beziehung überhaupt zustande kommt, muss eine Begegnung stattfinden. Damit die Begegnung stattfindet, ist die Vereinbarung eines Termins notwendig. Diese an sich übliche Vorgehensweise hat in der Arzt-Patient- Beziehung einen besonderen Aspekt. Er tritt dann zum Vorschein, wenn die Terminvereinbarung am Quartalsende fällig wird, weil gerade dann die Zähigkeit des Leidenden nachlässt. In solchen Fällen wird bei der Terminvergabe das eigene Wirken durch fremdbestimmte Vorgaben ersetzt, die aus eigener Sicht nicht unbedingt als sinnvoll betrachtet werden können. Es soll heißen: statt gewünschte Terminvereinbarung - Terminverschiebung.

Um einen genaueren Einblick in die Terminverteilung innerhalb der Quartale zu erhalten, hat die Bertelsmann Stiftung in Zusammenarbeit mit der Barmer GEK in ihrem „Gesundheitsmonitor 2011“ erstmals die Verteilung der Arzttermine über das Quartal mit Krankenkassendaten untersucht.
Dabei stellte sich heraus, dass bereits die Terminvergabe ein Wert-voller Schritt in der Gestaltung einer Arzt-Patient-Beziehung darstellt.

Für den Arzt wird der „Wert“ einer Terminvergabe durch das vorgegebene Praxisbudget und die Vergütung für die Behandlungen eines Patienten bestimmt.
Erbringt ein Arzt mehr Leistungen, als sein Praxisbudget vorsieht, erhält er hierfür nur noch eine geringe Vergütung. Hiermit ist gegen Ende eines Quartals zu rechnen. Entsprechend sinkt der Anreiz am Quartalsende, noch weitere Behandlungen vorzunehmen und entsprechende Termine zu vergeben. Durch die Pauschalierung der Vergütung für die Behandlungen eines Patienten innerhalb eines Quartals erhalten Ärzte für weitere Besuche dieses Patienten häufig kein oder nur ein geringes zusätzliches Honorar.
Eine Aufhebung der Budgetierung als Lösung des Problems komme laut der Studie nicht in Frage, weil die Behandlungskosten sonst explodieren würden.

Was Patienten angeht, kommt die Studie zu dem Schluss, dass der „Wert“ ihrer Wunschtermine innerhalb eines Quartals insbesondere von der Praxisgebühr und der Möglichkeit der Befreiung von derselben durch eine Überweisung bei anderen Ärzten beeinflusst wird.
Der mündige Patient ist allerdings dessen bewusst, dass im Fall dringender medizinischer Erfordernisse - Praxisgebühr hin oder her – bei einer Terminverschiebung Beschwerden und Komplikationen denkbar seien. Sie könnten sogar den Besuch eines Notdienstes notwendig machen, wie die Studie feststellt.
Folgen: Beeinträchtigung des Krankheitsverlaufs und unnötige Kosten für das Versorgungssystem.

Die Terminvergabe, als 1. Schritt in der Gestaltung einer Arzt-Patient-Beziehung scheint nur noch eine Art negativen Wertbezug zu haben: ihr an sich positives Ziel bleibt auf der Strecke. Sie könnte dazu führen, dass die Wertigkeit der Arzt- Patient- Beziehung von Anfang an ins Hintertreffen gerät.
Eine Lösung dieses Problems, blieb die Studie schuldig.

Eine gute Beziehung braucht außerdem mehr als nur eine Terminvereinbarung. Die Gespräche zwischen den Partnern leisten einen wesentlichen Beitrag zu ihrem Gelingen.
Mittlerweile ist es aber so, dass durch den wachsenden Zeitdruck im ärztlichen Arbeitsumfeld die Bedeutung des ärztlichen Gesprächs für eine gute Arzt- Patient- Beziehung verloren zu gehen scheint.
Zudem hat sich auch der Umgang der Patienten mit der Gesundheit und ihrer Wahrnehmung geändert. Der medizinisch-technische Fortschritt ist von IT- Technologien geprägt. Es scheint naheliegend, dass die Computer- vermittelte Kommunikation, durch kontinuierlicherer Kontakt Arzt- Patient, die „Vermenschlichung“ in der Begegnung Arzt- Patient vorantreiben könnte.

Ein Gedanke, der einem selbst und anderen Nutzen bringt, ist bestechend und kann Wirklichkeit unserer neuen vernetzten Gesundheitswelt werden.
So gesehen, ist es nicht verwunderlich, dass der internetgestützten Telemedizin die Stunde geschlagen hat: die europaweit erste online Arztpraxis erblickte das Licht der Welt, in London.
Die online- Arztpraxis hat 2-sprachige Sprechstunden – englisch und deutsch. Die hier tätigen Ärzte sind bei der britischen Ärztekammer, dem General Medical Council (GMC) registriert.

Die erste deutschsprachige online- Arztpraxis bietet Sprechstunden zur Allgemeinmedizin, Inneren Medizin, Reisemedizin und nicht überwiegend Sexualmedizin, wie von den Medien suggeriert worden ist. Patienten unter 18 Jahren wie auch Notfälle werden nicht angenommen.
Trotz Warnungen deutscher Mediziner ist das Interesse deutscher Patienten hoch. Im Zeitraum von 10 Tagen zwischen der Eröffnung der deutschen Sprechstunde am 30. 11.2011 und dem 08. 12. 11 haben von 2.500 Patienten mehr als 1.000 deutsche Patienten die Praxis besucht.

Ablauf der Sprechstunde
1. Klick: Der „elektronische“ Besuch der Sprechstunde - ohne Wartezeiten, Terminvereinbarung / Terminverschiebung - bietet kostenfreie Diagnose, 1. Beratung und Beratungsempfehlung. Die in Deutschland übliche Praxisgebühr fällt nicht an;
Klick zum Waren-Korb: bei Entscheidung des Patienten für eine Behandlung. Eine privatärztliche Gebühr wird erhoben, die zwischen 9 und 29 € liegt und Beratung, Behandlung, Ausstellung /Versand des Rezepts umfasst;
Klick zum Abschicken der Bestellung: Nach Regelung der Zahlungsmöglichkeiten und Möglichkeiten zur Versendung des Rezepts (an eine Versandapotheke / direkt an Patienten).
Geliefert wird die Online-Patiententakte. Sie enthält: Rezept und/oder das Medikament, Hinweise zur Medikamenteneinnahme, auf Wunsch auch einen Arztbrief über Diagnose und Behandlung, adressiert an den Hausarzt oder Vertrauensarzt des Patienten.

GEKLICKT, GEKAUFT, GELIEFERT: mit mehr Raum für ärztliche Gespräche und daraus sich entwickelnden wertvollen Arzt-Patient-Beziehung ist die Medizin auf gutem Weg, Technik zu nutzen, um gleichzeitig den Anforderungen an die ärztliche Sorgfalt als auch den heutigen Patientenwünschen gerecht zu sein.

In der schönen, neuen Welt, in der alles mit allem verbunden ist, beginnt anscheinend einer den anderen zu verstehen.