Dienstag, 26. Januar 2010

Epidemie des Zeitwettbewerbs

Die Epidemie mit dem neuen Grippevirus H1N1 scheint überwunden zu sein.
Dafür werden wir von einer anderen Epidemie, die Epidemie des Zeitwettbewerbs heimgesucht, deren ZEIT- Virus mittlerweile auf viele Branchen, auf Familie, auf Bildungswesen, auf Beruf,Gesundheitswesen, also auf die gesamte Gesellschaft
übergegriffen hat. Ergebnis: Gesamtgesellschaftliche Beschleunigungsprozesse, durch Steuerung(sVersuche) von Zeitabläufen.

Der Begriff „Virus“ kommt aus dem Lateinischen und bedeutet „Gift, Saft, Schleim“.
Das Virus als Auslöser von Krankheiten ist ein GIFT für den menschlichen Organismus, und als ein sich selbst verbreitendes Computerprogramm mit Beeinträchtigung der Computerfunktionen –und Sicherheit auch GIFT für den Computer.
Der Begriff ist somit durchgängig negativ belegt. Dieses Merkmal ist auf das ZEIT - Virus nicht ohne weiteres übertragbar, denn die Auswirkungen der gesamtgesellschaftlichen Beschleunigungsprozesse lassen sich sowohl positiv als auch negativ zusammenfassen: Erweiterung der Informations- und Kommunikationsmöglichkeiten, höherer materieller Wohlstand, bessere Versorgung mit preiswertren Massenkonsumgütern sind positive Folgen – das ZEIT -Virus ist der antreibende „Saft“ im Zeitwettbewerb; wachsender Zeitdruck und der daraus resultierende Zeitstress, die Verunsicherung angesichts des beschleunigten sozialen Wandels, eine erhöhte Gefahr für psychische und physische Erkrankungen sind negative Folgen – das ZEIT- Virus kann wie in der Medizin und im Computerwesen für die ganze Gesellschaft zu „Gift“ mutieren.

In dem System „Saft“ / „Gift“ den Anteil an „Saft“ zu erhöhen, ist schwierig.
Denn obwohl technische Möglichkeiten zu immer genauer Zeitmessungen geführt haben, ist das subjektiv erlebte ZEIT- Virus, das Zeiterleben, des Menschen unterschiedlich. Auch im Zeiten des Zeitwettbewerbs vergehen zwei Wochen spannender Urlaubstage mit scheinbarer Lichtgeschwindigkeit und ein Krankenhausaufenthalt gleicher Länge wird als endlos empfunden, geben zwei Stunden in Begleitung einer sympathischer Person das Gefühl , es seien 2 Minuten, so geben 2 Minuten auf dem Behandlungsstuhl eines Zahnarztes das Gefühl, es sei die halbe Ewigkeit.

Bleibt das subjektiv erlebte ZEIT- Virus / - das Zeiterleben – unberücksichtigt und wird zugleich das Thema Zeit zur Obsession, kann es zu sonderbaren Auswüchsen kommen.
Dies lässt sich am Beispiel der Freiberufler zeigen, bei dem Kampf um ihr wichtigstes Gut, den „Saft“ für den wirtschaftlichen Erfolg im Beruf.

Man denke an einen Anwalt, Inhaber einer Anwaltskanzlei, der die Toilettenbesuchszeiten eines seiner Anwälte gestoppt und auf die Dauer des Arbeitsverhältnisses hochgerechnet hatte. Er kam zu dem Ergebnis dass sein Angestellter zusätzlich zu den üblichen Pausen- und Toilettenzeiten insgesamt 90 Stunden auf der Toilette verbraucht hatte. Hierfür zog er ihm 682,40 € vom Nettogehalt ab. Zu Unrecht, fanden die Richter am Arbeitsgericht Köln. Sie entschieden, dass Toilettenbesuche keine Gehaltskürzung rechtfertigen.

Was zu „Saft“ der Kanzlei werden sollte, wurde zu „Gift“, weil trotz genauer Zeitmessung, das unterschiedliche Erleben des ZEIT- Virus, vor und jenseits der Toilettentür, sich entgegengesetzt zu den entsprechenden Wünschen verhält.
"Es kommt darauf an, auf welcher Seite der Klotür man sich befindet, um eine Minute als schnell oder langsam vergehend zu erleben. Für die, die davor stehen, und nicht hineinkönnen, vergeht eine Minute langsam. Für diejenigen, die jenseits der Türe ihren Platz gefunden haben, spielt die Zeit keine Rolle. Sie sitzen auf der zeitlosen Seite. Schön für sie!" – hat der Zeitforscher Karlheinz A. Geißler an Hand seines einprägsamen Beispiels illustriert.

Sollte man meinen, dass die Nutzung moderner Informations- und Kommunikationstechnologien die diagnostische und therapeutische Praxis vereinfachen, die Qualität der medizinischen Versorgung steigt, und nicht zuletzt die Verfügbarkeit medizinischen Wissens verbessert.
Dem ist es nicht so. Der Arzt hat es nach wie vor schwer, mit der Steuerung von zeitlichen Arbeitsabläufen. Der Fluss gesetzlich versicherter Patienten ist trotz Praxisgebühr nicht beherrschbar und auch sind Krankheitsbilder sehr unhomogen. Nach Statistik behandelte 2008 jeder Arzt 45 Patienten pro Werkstag, so dass für jeden dieser Patienten ca. 8 Minuten Zeit bleiben.
Es sind 8, mit dem giftigen Teil des Virus ZEIT infizierte Minuten, gleich zu setzen einem zum Teil überlasteten Arzt, zum Teil aber auch ohne finanzielle Anreize und einem unzufriedenen Patienten, für dessen Beschwerden sich der Arzt keine ausreichende Zeit nimmt.
Es ist tatsächlich nicht leicht, die mit dem Virus ZEIT verseuchten zeitlichen Abläufe wieder in Ordnung zu bringen, aber auch nicht unmöglich.
Bis die Nutzung moderner Informations- und Kommunikationstechnologien zum Tragen kommen, und zum seelischen Ausgleich des Arztes kann eine Hochrechnung hier - im Gegensatz zu dem Fall der Anwaltskanzlei- eine sofortige Wirkung haben:
45 Patienten / Werkstag sind 225 Patienten / Woche sind 2700 Patienten / Quartal.
In Anbetracht der Tatsache, dass die Honorare der Ärzte gestiegen sind, ergibt sich durch die Masse (der Patienten) dann doch eine mehr oder weniger volle Kasse. Konsequenz: Konsum in der Krise und somit eine Leistung für die Allgemeinheit im Rahmen des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes.

Die Epidemie des Zeitwettbewerbs mit ihren positiven und negativen Aspekten wird uns wohl eine gewisse Zeit erhalten bleiben.
Weil wir nur Menschen sind, bleibt es zu hoffen, dass wir aus erlebten Erfahrungen gelernt haben, und dem Virus - ZEIT immer saftigere Aspekte abgewinnen werden können.
Wird dann die Zeitmaschine gebaut, können ungenutzte Chancen wieder zurückkommen, Ungeschehenes kann wieder geschehen oder Geschehenes ungeschehen gemacht werden.
Und bis dahin?
ZEWA mit Desinfektionsmittel, um „Mit einem Wisch mehr vom Leben“ zu haben.