Wenn nach der Vereinigung von Ei- und Samenzelle ein MENSCH mit 46 Chromosomen (eigentlich 23 Chromosomen-Paare) in jeder seiner Körperzellen entsteht, gilt er als männlicher Mensch, genannt Mann, wenn es in seinem Chromosomensatz ein X- und Y-Chromosom gibt, und als weiblicher Mensch, genannt Frau, wenn zwei X-Chromosomen dazu zählen. Die übrigen 44 Chromosomen sind paarweise gleich und unterscheiden sich in den Genvarianten.
Das bedeutet, dass aufgrund des chromosomalen Unterschieds auch in unseren Gender-Mainstreaming-Zeiten die Behauptung „Männer sind, und Frauen auch“ ihre Berechtigung beibehält.
Dies alles spricht für die Notwendigkeit einer Strategie für die geschlechtsspezifische Gesundheitsvorsorge. Und es gibt sie! Ihr Name: Gendermedizin.
Nun haben gendermedizinische Forschungen u.a. ergeben, dass der „kleine Unterschied“ größer als bisher gedacht sei. Denn Biologie kennt keine Gleichberechtigung.
Einige Beispiele:
Leber: Sie ist bei Frauen nicht nur ¬kleiner; auch manche Enzyme sind je nach ¬Geschlecht unterschiedlich aktiv. Einen ¬Einfluss hat dies auch auf den Abbau von Arzneimitteln. Da Frauen zudem oft kleiner und leichter sind, werden Medikamente bei ihnen eher überdosiert.
Hormone: Die Geschlechtshormone sind wesentlich ¬daran beteiligt, dass sich Frauen und Männer äußerlich unterscheiden. Die Botenstoffe beeinflussen unter anderem das Immunsystem, den Stoffwechsel und die Funktion von Organen.
Herz: Auch Symptome von Krankheiten können je nach Geschlecht anders verlaufen. Frauen haben z. B. bei einem Herzinfarkt oft Schmerzen in Oberbauch., Übelkeit und Rückenschmerzen. Als klassische Symptome für einen Herzinfarkt - die meist bei Männern auftreten - gelten aber Atemnot., Druckgefühl in er Brust und starke Brust-Schmerzen, die in die Arme oder andere Körperteile ausstrahlen. Eine Fehldiagnose kann hier fatale Folgen haben.
Darm: der weibliche Darm – insbesondere bei einem hohen Progesteronspiegel vor den Wechseljahren - arbeitet langsamer als der von Männern. So verbleiben Medikamente bei Frauen länger im Körper. Das könnte ein Grund sein, warum Medikamente bei Frauen häufig stärker wirken als bei Männern.
Schilddrüse: Frauen erkranken öfter an Autoimmunerkrankungen, wie an der Schilddrüse
Fettzellen: Frauen besitzen mehr Fettgewebe als Männer, die Muskelmasse, der Wasseranteil in ihrem Körper ist dagegen geringer. Aus diesem Grund verteilen sich Arznei anders und werden unterschiedlich schnell abgebaut als bei Männern.
Nieren: Vor allem ältere Frauen haben häufig eine Nierenschwäche. Medikamente bleiben länger im Körper, was zu Überdosierungen führen kann.
Knochen: Brüchige Knochen sind nicht nur ein Frauenproblem. Etwa ein Drittel der Männer über 70 Jahre leidet an Osteoporose. Doch dies bleibt oft unerkannt.
Immunsystem: Vor allem in mittleren Lebensjahren haben Frauen das stärkere
Immunsystem. Der Nachteil: Sie leiden öfter an Autoimmunerkrankungen.
Vor diesem Hintergrund kommt ein zusätzlicher Aspekt der Gendermedizin zum Tragen: Das Testen von Impfstoffen und Medikamenten.
Frauen waren in Impf- und Medikamenten-Studien nicht angemessen berücksichtigt. Jahrzehntelang wurden neue Medikamente ausschließlich an Männern getestet. Das Argument: Frauen könnten ja schwanger sein, man wolle das ungeborene Kind schützen.
Daten für Wirkungen, Nebenwirkungen und Dosierungen von Medikamenten sind aber für beide Geschlechter unerlässlich. Dies berücksichtigend, sollen inzwischen bei der Zulassung eines neuen Medikaments Frauen in die Tests eingezogen werden müssen.
Nun finden mittlerweile geschlechtsspezifische Besonderheiten zunehmend Eingang in die nationale Gesundheits- und Präventionspolitik.
So wurde im Jahr 2015 im Rahmen des Präventionsgesetzes die Geschlechtergerechtigkeit als eine wesentliche rechtliche Grundlage der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) aufgenommen. Seitdem ist bei den Leistungen der Krankenkassen geschlechtsspezifischen Besonderheiten Rechnung zu tragen. Damit soll eine geschlechtsbezogene Ungleichheit von Gesundheitschancen vermindert werden.
Von dem Frauengesundheitsbericht 2020 ausgehend hat das RKI Eckdaten und Informationen zur Frauengesundheit veröffentlicht, die Auskunft über häufige Erkrankungen, Risikofaktoren, die Inanspruchnahme von Prävention und medizinischer Versorgung sowie Einflussfaktoren und Rahmenbedingungen der Gesundheit liefern.
Zurzeit setzen sich zwar nur wenige medizinische Fakultäten systematisch und umfangreich mit den geschlechtsspezifischen Unterschieden auseinander.
Um die Erkenntnisse der Gendermedizin in die Ausbildung zu integrieren, ist jedoch vorgesehen, die Approbationsordnung für Ärzte ab 2025 so zu ändern, dass geschlechtsspezifische Unterschiede in den Lehrplänen des Medizinstudiums verankert sind.
Die Erkenntnisse der Gendermedizin setzen sich immer mehr auch in der klinischen Forschung durch. Es ist gut so, denn es ist auch ein wichtiger Schritt in Richtung personalisierte Medizin.
Personalisierte Medizin ist laut Bundesforschungsministerium die "Medizin der Zukunft". Sie bedeutet, dass auf die individuellen Voraussetzungen und Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten eingegangen wird, damit die Therapie besonders gut wirkt und die Nebenwirkungen so gering wie möglich bleiben.
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