Montag, 10. Oktober 2011

Lebensmittel-Kennzeichnung: Der Zweck heiligt die Mittel

Lebensmittel, die Mittel, die aufgrund ihres Gehaltes an Eiweiß, Fett, Kohlenhydraten oder Mineralstoffen einen kalorischen Nährwert besitzen, so dass sie unserem Körper als Energiespender oder Aufbaustoff dienen können und durch ihre Bestandteile genannt „Vitamine“ für den einwandfreien Ablauf des Stoffwechsels unentbehrlich sind.
Wir können sie mit unseren 5 Sinnen wahrnehmen.
Wir können sie (er)tasten, riechen, ihre vielfältigen Erscheinungsformen sehen, ihr Piepsen, Muhen, Grunzen, Schnattern, Quaken, Blöken hören und sie uns nach alledem i. S. d. Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuchs (LFGB) vom 01.09.2005 “in verarbeitetem, teilweise verarbeitetem oder unverarbeitetem Zustand“ schmecken lassen.
Man sollte meinen, dass uns diese Kenntnisse und unsere zusätzlichen objektiv subjektiven Erkenntnisse i. V. m. einem 6. Sinn ermöglichen, die Lebensmittel zwar „ungesetzlich“ jedoch auf gesunder Art und Weise zu genießen - ungesetzlich, da der Begriff „Genuss“ im LFGB nicht mehr vorkommt, wie das im alten Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz (LMBG) der Fall war.

Weit gefehlt!
Das Bild, das Zuständige von uns zumindest im Hinblick auf die verpackten Lebensmittel hegen, ist erstaunlich: auf uns allein gestellt, sollen wir es nicht schaffen, von der Dschungel der verpackten Lebensmittel aus den Pfad der gesunden Ernährung zu erreichen.Trotz unserer grundsätzlichen Kenntnisse und Erkenntnisse müsse uns das notwendige Wissen über die Qualität der Lebensmittel beigebracht werden, damit wir dann endlich, durch Einüben im Alltag, den Umgang damit erlernen können. Das sei die Möglichkeit, den jährlich in Deutschland durch ernährungsbedingte Krankheiten anfallenden Kosten Einhalt zu gebieten. Sie betragen mittlerweile 70 Millionen €.

Die Entwicklung entsprechender Mittel zum erklärten Zweck der Verbraucherbildung und Verbraucherinformation erwies sich als eine wahre Herausforderung. Dabei ging es in der Hauptsache darum, ob nur Zahlen oder auch Farben zum Einsatz kommen.


In der Sache FARBE diente als Vorbild das britische Farbsystem.
Dieses Signalsystem, die 3-farbige-Ampel- Kennzeichnung, wurde von der Britischen Lebensmittelbehörde „Food Standard Agency“ (FSA) entwickelt. Die Kennzeichnung signalisiert bei den einzelnen Nährstoffen - Fett, gesättigte Fettsäuren, Salz und Zucker - ob die Produkte unbedenklich zu genießen sind (Grün) oder aber maßvoll (Gelb) bzw. sehr sparsam (Rot) verzehrt werden sollten.
Die FSA legte gleichzeitig auch Bezugsgrößen fest: Die Angaben beziehen sich auf eine Portion von 100g und in Prozenten des empfohlenen Tagesbedarfs, englisch GDA, für „guideline daily amount“. Die GDA- Kennzeichnung steht also für „Richtwert für den Tagesbedarf“ an Fett, Zucker und Salz.
In einer Stellungnahme weist die DGE daraufhin, dass obwohl das britische Ampelsystem dem Verbraucher auf einem Blick ermöglicht, den Gehalt an Fett, Salz und Zucker pro 100g zu erfassen, bleibt eine geringe Übersichtlichkeit nicht ausgeschlossen. So z. B. „bei einem zuckerarmen aber zugleich fettreichen Lebensmittel müssen Verbraucher trotz Ampelkennzeichnung den niedrigen Zuckergehalt gegen einen relativ hohen Fettgehalt abwägen“, sagt die DGE. Außerdem: wie soll man z. B. den Fettgehalt eines Lebensmittels bewerten, das hauptsächlich aus ernährungsphysiologisch hochwertigen Rapsöl besteht: Grün für den hohen Gehalt an ungesättigten Fettsäuren und gleichzeitig Rot wegen des hohen Fettgehaltes?
Die europaweite Einführung einer Ampelkennzeichnung blieb umstritten.

Die Gegner setzten auf eine Kennzeichnung mit ZAHLEN bezogen auf den täglichen Nährstoffbedarf – GDAs.
Die DGE sieht hier ein Problem bei der Definition der Bezugsgröße, denn die Richtwerte seien teils nicht nachvollziehbar. Je nach Alter, Geschlecht, individuellem Zustand, Erkrankungen und auch Belastungssituation hat der Körper einen unterschiedlichen Bedarf an Energie und Nährstoffen. Die Festlegung auf 2000 Kalorien für Frauen oder 2500 Kalorien für Männer als „empfohlene Tageszufuhr“ z. B. gälte nur für Erwachsene. Ältere Menschen und Kinder würden meist viel weniger benötigen. Somit besteht eine große Gefahr der Fehlinterpretation durch den Verbraucher.

Nun kann seit dem 16. 06. 2011 das Kriegsbeil zwischen den Befürwortern und Gegnern des einen oder anderen Kennzeichnungssystems -Farbe oder Zahlen - begraben werden. Das Ampelsystem erhält rotes Licht. Die EU hat neue Regeln zu Lebensmittel Kennzeichnung beschlossen und am 29. 09.2011 einigten sich die EU-Länder auf eine neue Lebensmittel-Informationsverordnung.

Auf jeder Verpackungsrückseite werden demnach Angaben wie der Energiegehalt, der Gehalt an Zucker, Fett, Salz, Eiweiß und Kohlenhydrate verpflichtend, und zwar bezogen auf 100 Gramm oder 100 Milliliter Produkt. Die gute Lesbarkeit der Informationen wird künftig durch eine mindestens 1,2 Millimeter große Schrift gewährleistet.
Die Forderung nach Abhebung bestimmter Angaben vom Hintergrund wurde auch berücksichtigt. So müssen Allergene in Zukunft in der Zutatenliste hervorgehoben, beispielsweise farblich unterlegt werden.
Für die Anwendung der neuen Regeln gibt es eine Übergangsfrist von 3 bis 5 Jahren, damit alte Bestände an Verpackungen und Etiketten aufgebraucht werden können.

Der Zweck heiligt die Mittel, heißt es.
Ob nun der erklärte Zweck der Bekämpfung von (u. a.) Übergewicht die hierzu eingesetzten Mittel - Zahlen-Labels = Qualitätsmerkmal eines Lebensmittels - die Lösung des Problems Übergewicht wirklich vorwärts bringt, wird sich herausstellen.

Was sich schon jetzt feststellen lässt, ist die Tatsache, dass im Reich der Zwecke zunächst alles einen Preis hat.

So hat die ungarische Regierung bereits zum 1. September 2011 eine Sonderabgabe für übermäßig gesalzene, süße, kohlenhydrat- oder koffeinreiche Fertigprodukte eingeführt.
Bei ungarischen Produkten werden die Hersteller zur Kasse gebeten, bei Importgütern die ungarischen Vertreiber. Betroffen sind neben industriell verpacktem Gebäck auch Erfrischungsgetränke, die zu wenig Fruchtsaft enthalten.
Im Fall von Getränken beträgt die Abgabe 5 bis 250 Forint (knapp 1 Euro) pro Liter, bei Esswaren 100 bis 200 Forint pro Kilogramm. Händler, die pro Jahr weniger als 50 Liter oder 50 Kilogramm der ungesunden Produkte verkaufen, werden von der Abgabe befreit.

Am 1. Oktober folgte dann Dänemark.
Zum 1. Oktober 2011 hat Dänemark als erstes Land der Welt eine Steuer auf Fette in Nahrungsmitteln eingeführt. Egal, ob sie in Butter, Milch, Fleisch, Pizzen oder Fertiggerichten stecken - ab sofort werden pro Kilogramm gesättigte Fettsäuren 16 Kronen (2,15 Euro) fällig. Die Maßnahme soll die Bevölkerung des Landes davon abhalten, zu viel der ungesunden Fette zu essen.
Es müssten neue Preise berechnet werden, was laut Lebensmittelproduzenten sehr zeitaufwendig sei, zumal nicht nur das Fett in den Lebensmitteln selbst ermittelt werden müsse, sondern auch das bei der Zubereitung benutzte Fett, etwa Frittieröl. Und die Kosten trage letztlich der Verbraucher.

Nun sind die „ungesunden Lebensmittel“ auf dem Markt. Sie werden beworben, mal mit rationalen Argumenten, mal suggestiv, was besondere Gefühle anspricht. Und wir erlegen (manchmal) der Versuchung.
In welchem Maß sind wir dafür verantwortlich, dass wir uns bei der Wahl der Lebensmittel vergreifen? Müssen WIR dafür verantwortlich gemacht werden oder die HERSTELLER und VERTREIBER, die uns das „Un-gesunde“ verlockend vor die Nase setzen?
Das sind hier die Fragen - neben dem Thema ÜBERGEWICHT!!!

PS: Der § 5 LFGB sieht Verbote zum Schutz der Gesundheit vor
(1) Es ist verboten, Lebensmittel für andere derart herzustellen oder zu
behandeln, dass ihr Verzehr gesundheitsschädlich im Sinne des Artikels
14 Abs. 2 Buchstabe a der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 ist. Das Verbot
des Artikels 14 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 Buchstabe a der Verordnung
(EG) Nr. 178/2002 über das Inverkehrbringen gesundheitsschädlicher
Lebensmittel bleibt unberührt.

Verordnung (EG) Nr. 178/2002 Artikel 14 Anforderungen an die
Lebensmittelsicherheit

(1) Lebensmittel, die nicht sicher sind, dürfen nicht in Verkehr gebracht
werden.
(2) Lebensmittel gelten als nicht sicher, wenn davon auszugehen ist, dass sie
a) gesundheitsschädlich sind,
b) für den Verzehr durch den Menschen ungeeignet sind.